Warum ich “Dress according to your Body Type”-Videos nicht mag und am liebsten aussehe, als stecke noch der Kleiderbügel in meinem Blazer.
Dass TikTok fragwürdige Trends hervorbringt, sollte niemanden mehr überraschen. Normalerweise werden sie aber auch recht schnell als das erkannt, was sie sind: problematisch oder, wie wir heute eher sagen würden, toxisch. Dieses Mal ist es anders. Ganz unschuldig kommen die Videos daher, wie die große Schwester, die man nie hatte, oder die mondäne Tante, die einem ihre Lebensweisheiten mitgeben möchte. „Danke“, steht in den Kommentaren darunter oder: „Hätte ich das doch schon viel früher gewusst“. Ich bin froh, dass ich diese Videos früher nicht gesehen habe.
Die Rede ist von „Dress according to your Body Type“-Videos: Kurze Clips auf instagram oder TikTok, in denen erklärt wird, welche Outfits am besten zu welcher Körperform passen. Manchmal wird dabei nicht viel gesagt, sondern nur gezeigt: Etwa wie eine Person – meistens eine junge, schlanke Frau – ein Outfit auf verschiedene Weisen trägt. Zuerst die Hose auf Hüfthöhe, dazu ein bauchfreies Top; dann wird das Top heruntergekrempelt, schließlich auch die Hose auf Bauchnabelhöhe gezogen. Mal erscheinen die Beine gestreckter, gestauchter, mal wird die Taille besonders betont. Obwohl die Videos keinen Ton haben, von Hintergrundmusik abgesehen, schwingt eine relativ klare Botschaft mit: Am besten siehst du aus, wenn deine Kleidung deine Beine lang und deine Taille schlank wirken lässt. Dass diese Videos selten von plus size women gedreht werden, versteht sich von selbst.
Ginge es nach diesen Videos, sollte ich besser nichts von dem tragen, was ich am liebsten anhabe; nichts von dem, in dem ich mich am meisten wie ich selbst fühle.
Sie erinnern mich an die Texte früherer „Mädchenzeitschriften“, in denen vermittelt wurde, dass große Frauen keine High Heels und kleine keine Stiefel mit hohem Schaft tragen dürfen. Bei einer großen Oberweite funktioniert der oversized Look nicht – man will doch nicht aussehen, wie ein Zelt – ist eine Person nicht gertenschlank, ist das Zelt doch plötzlich okay.
Natürlich ist nichts dabei, wenn Menschen herausfinden wollen, was ihnen besser oder schlechter steht, was zu ihnen passt. Problematisch ist aber, wenn sie dabei immer nur auf die gleiche Antwort stoßen: Nämlich Wege, den Körper so erscheinen zu lassen, dass er sich einem ganz bestimmten gesellschaftlichen Idealtyp angleicht.
Das ist schließlich nicht die einzige Funktion eines Outfits, von Mode generell. Wenn mir jemand sagt, dass ich heute mal wieder aussehe, als würde ich in meiner übergroßen Kleidung verschwinden, sage ich nicht „Mist“, sondern „Danke“. „Du trägst nicht die Jacke, die Jacke trägt dich“ – das ist ein Kompliment für mich, ja, manchmal entrutscht mir gegenüber solchen Bemerkungen ein wenig eloquentes, dafür umso trotzigeres „Das soll so“. Wenn ich meine Ästhetik beschreiben würde, würde ich sie „laufender Kleiderhaufen“ nennen, ein fleischgewordener Wasserfall aus schwarzem Stoff. Oder auch: Alles, was die Bravo Girl 2007 kleinen Frauen mit größerer Oberweite verboten hätte.
Klar will ich gut aussehen – das heißt für mich aber nicht, dass ich Outfits so auswähle, dass meine Beine optisch gestreckt werden müssen. Sicher, manchmal vielleicht auch das – aber meistens kommt meinem Körper eher eine Statisten- als Hauptrolle in der Kleiderwahl zu (und natürlich weiß ich um meine privilegierte Situation, das so formulieren zu können – weil ich eine Größe trage, bei der meine Maße eben nicht maßgeblich bestimmen, welche Kleidung überhaupt in Frage kommt).
Mein Körper ist die Leinwand, auf und mit der ich zeigen will, wer ich bin – dass ich dabei nicht die Leinwand selbst, sondern eben ihr Motiv betonen möchte, ist für mich logisch. Das kann heißen, Schulterpolster zu tragen, die so eckig abstehen, als hätte ich den Bügel in meinem Blazer vergessen. Oder Stiefel mit prominenter Silberkappe, die meine zarten 38er-Füße in Quadratlatschen verwandeln. Ich liebe aufregende Silhouetten, Konturen, die frisch und unkonventionell sind – und vielleicht auch ein bisschen komisch. Mode soll Spaß machen, dieser Satz ist gleichermaßen plump-banal wie wahr.
Sollte ich irgendwann in die Position kommen, als Tante jungen Menschen einen Tipp zu geben, den ich selbst gern gehört hätte, wäre das der: Bei Mode geht es um Humor, Kreativität, Identität – nicht darum, ob deine Taille zu sehen ist.